nur sein
Ein wiederkehrender Hinweis von Mystikern:
“Es gibt keine Lehre, die zu studieren wäre. Lerne nur zu vermeiden, dass du etwas suchst, dass du dich an etwas bindest.”
nach Zen-Meister Huang Po (gestorben ~850)
Warum soll ich keine Lehren studieren?
Zuerst scheint mir, dass sich der Hinweis von Huang Po nicht auf den Anfang des Weges bezieht, sondern sich an weiter Fortgeschrittene wendet. Fast alle von uns benötigen Hinweise, dass es “da noch etwas gibt”, und Motivation erste Schritte zu gehen. Bereits da ist es aber essenziell “zu vermeiden, dass du etwas suchst, dass du dich an etwas bindest”. Beides meint “bleibe auf dem Weg nicht stehen”, heisst “es gibt kein Ziel, nur einen Weg”.
Je weiter ich auf diesem Weg dann aber voran komme, desto weniger kann all das, was ich bisher über unsere gewöhnliche Welt gelernt habe, das interpretieren, was ich nun wahrnehme. Es gibt keine abstrakten Konzepten mehr, keine Wörter, Bilder, Gefühle,…, die das Neue fassen können. Ich werde mit der Zeit natürlich meine bisherigen Wörter und Bilder nutzen um für mich auf neue Erfahrungen zu zeigen, aber dies sind eben nur Zeiger auf etwas, sie können dieses Etwas nicht in sich tragen. Damit kann ich meine Erfahrungen weder andern mitteilen, noch kann ich darüber von andern erfahren.
Lehren aller Art, ob gesprochen, geschrieben, oder gezeigt, sind aber genau solche abstrakten Konstrukte aus Wörtern, Bildern, Gefühlen,… die hilflos auf etwas Tieferes zu zeigen versuchen, auf die zugrunde liegende primäre Realität. Diesen Fluchtpunkt aller Mystik können sie aber grundsätzlich nicht berühren. Auch Jene mit tiefsten Erfahrungen stammeln hier nur Dinge wie “keine Lehre studieren”, “das Geheimnis des Geheimnisses”, “das Mysterium”, “die Wolke des Nichtwissens”,… oder sie Schweigen gleich völlig.
die konkrete Schwierigkeit
Nehmen wir die drei Wörter (Zeiger) “Arolle”, “Angelus”, und “Dhikr”. Ohne im entsprechenden Kulturkreis gebildet zu sein habe ich keine Ahnung, worum es dabei geht.
Das erste Wort scheint einfach. Arolle ist ein Baum, Pinus cembra, der an der Baumgrenze der Alpen wächst, der auch Arolla seinen Namen gegeben.
Das zweite Wort bezieht sich auf das “Angelus Gebet” in der katholischen Tradition. Man kann es leicht nachlesen und wird… nichts verstehen, auch wenn man jedes einzelne Wort in seinen vielfältigen Bedeutungen versteht. Es gibt nichts zu verstehen. Es gibt nur zu erfahren.
Ähnlich ist es mit “Dhikr”, was eine oft stille meditative Übung im islamischen, insbesondere sufischen Kulturkreis bezeichnet. Wiederum, nehme ich an einem Dhikr teil, werde ich nichts verstehen.
Sowohl bei einem wahren Dhikr, als auch bei einem wahren Angelus werde ich aber etwas wahrnehmen, ebenso wenn ich einer Arolle im Wald bewusst gegenüber stehe.
Ob ich allerdings das Gleiche wahrnehme wie du, dessen werden wir beide uns nie sicher sein können.
Das fundamentale Problem der Kommunikation zeigt sich nicht nur am Beispiel von Wörtern. Es ist universell und unabhängig von den Elementen, die zur Kommunikation genutzt werden, seien dies Bilder, Körperhaltungen, eine Ohrfeige, oder ein Furz. Der tiefere Grund dafür ist, dass mein Bewusstsein in meiner Vorstellung “lebt”, nicht in der primären Realität, und dass du mir deine Vorstellung nicht mitteilen kannst, ebenso wenig wie ich meine dir. Was wir nur tun können, ist, Zeiger auf Bereiche unserer eigenen Vorstellung auszutauschen – Wörter, Bilder,… – in der Hoffnung, dass sie bei uns beiden auf ähnliche Bereiche zeigen. Ist der Zeiger “Apfel”, können wir uns zumindest für oberflächliche Aspekte recht sicher sein. Ist er dagegen “Liebe”, oder gar “Seele”, dann werden wir uns sehr sehr unsicher sein.
nur sein
Keine Lehre, keine Wörter, was bleibt um die primäre Realität wahrzunehmen?
Nur sein! Ich bin bereits primäre Realität.
Ich bin nur durch meine Sinne, meine Konzepte, mein Bewusstsein von ihr getrennt, auch wenn diese alle Teil der primären Realität sind.
Nur sein und mich in meiner Ursprünglichkeit wahrnehmen. Was so einfach klingt ist enorm schwierig, weil ich immer wieder von meinen Wörter, Emotionen, und Konzepten eingefangen werde, weil meine “Maschine” alle Wahrnehmungen auf dem Hintergrund meiner Vorstellung zu interpretieren und zu verstehen sucht.
“Nur sein” zielt aber tiefer als meine Vorstellung, zielt in den Kern der Mystik, was auch immer ihrer spezielle Ausprägung für mich ist. Dies ist tatsächlich die erste, und schliesslich einzige Meditation auf dem Weg.
Um an diese Meditation heranzuführen, wähle ich das komplementäre Paar Ich–das Andere. “Ich”, was auch immer ich als solches wahrnehme, “das Andere” alles was davon verschieden ist, meine Katze, das Universum, Gott. Offensichtlich sind das alles Konzepte, also Aspekte meiner Vorstellung, nicht der primären Realität. Natürlich, es sind ja alles Wörter, die nun mal nur in meine Vorstellung zeigen können.
Trotzdem gibt es die Versuchung weiter als meine Vorstellung zu zeigen, etwa mit “GOTT”, oder dem “Namenlosen”. Dies kann zu grosser Verwirrung führen. In der Meditation hier könnte so “das Andere” als primäre Realität missverstanden werden. Höre ich dann “das Andere löst sich auf” könnte ich verstehen, dass sich die primäre Realität auflöst, dass es sie vielleicht gar nicht gibt. All das wären fundamentale Fehler. “Ich” und “das Andere” sind Konzepte in meiner Vorstellung und was sich auflöst ist mein Fokus auf sie in dem Moment der Meditation. Das Gleiche gilt auch für das “reine ursprüngliche Sein”, das sich schliesslich auch auflöst.
All das zeigt die Unmöglichkeit über Wörter jenseits der Wörter zu kommen.
Was bleibt? Meine Übung und mein unmittelbares Erfahren.