28. Januar 2023
Wir lebten in der Wüste, kannten nur unser Land mit dem trockenen Sand und den rauen Steinen, den windgepeitschten trockenen Sträuchern und, ja, dem Wind, dem Sturm, der den Sand treibt, uns immer wieder die Sicht nimmt und uns zwingt, die Augen zu schließen.
Ab und zu hörten wir von einer ganz anderen Welt – dem Ozean, wie sie ihn nannten – grenzenloses Wasser. Natürlich wussten wir, was Wasser ist, wir kannten den seltenen Regen, der in der brütenden Sonne nur allzu schnell wieder verdunstet, wir kannten die tiefen Löcher, aus denen wir es mühsam schöpften. Aber riesiges, grenzenloses Wasser? Was ist das, wie ist das, wie kann das sein?
Einige begannen sich danach zu sehnen. Keiner wusste, was es war, wenn es überhaupt existierte. Doch nun sind wir auf dem Weg, ihn zu finden, den Ozean.
Manchmal stoßen wir auf einen kleinen Tümpel, und einige stürzen vor Aufregung los, stolpern hinein: Wir haben ihn gefunden, der Ozean! Sie stampfen wie die Verrückten in der sich schnell bildenden schmutzigen Brühe. Einige bleiben sogar, mit ihrem flüchtigen Ozean, lernen zu warten bis sich der Schlamm wieder gesetzt hat, das Wasser wieder klar ist. Kleines Wasser, manchmal klar… wir gehen weiter.
Dann taucht ein großer Teich auf, gespeist von einem dünnen Rinnsal klaren Wassers. Große Bäume, Schatten, glückliches Leben. Endlich haben wir ihn, den Ozean. Ruhig, fast andächtig, nehmen wir einen Schluck von diesem Wasser, betrachten den Teich mit seinen fein gekräuselten Wellen, seiner Frische. Angekommen.
Manch einer beginnt sich zu fragen: weit, grenzenlos? Einige machen sich wieder auf den Weg, durch die Wüste, durch den trockenen Sand, den Wind und die Stürme. Und immer wieder die Sehnsucht nach dem Teich. Einzelne kehren dorthin zurück. Andere werden verrückt, verlieren die Orientierung, verlieren sich.
Wenige nur noch, erreichen wir schließlich eine Hügelkette, weit vor uns ein großes Dunkel mit flüchtigen weißen Bändern. Ein wütendes Etwas, getrieben von dem Sturm, der auch den Sand treibt, und doch… hier ist alles anders. Einige stürmen voran – der Ozean! – stürzen sich ins Wasser, werden von der Brandung erfasst, werden hinausgezogen und… mit diesem neuen, so völlig anderem Element nicht vertraut, unfähig schnell genug zu erkennen, zu lernen, gehen sie unter und verschwinden.
Wir stehen am Strand. Erschrocken. Mächtig, dieser Ozean. Gefährlich. Ehrfurcht kommt auf. Wenige gehen ins Wasser, vorsichtig, tiefer und tiefer, ohne den Boden unter den Füßen zu verlieren. Wir lernen die vielen Gesichter dieser neuen Welt zu erkennen – den tosenden Sturm, die ruhige mächtige Brandung, das stille Atmen im kaum hörbaren Heben und Senken – und wir lernen schwimmen. Einige wagen sich weiter in die Wellen hinaus, lernen den Ozean tiefer kennen, diese Grösse, diese Macht,… und diese Verlorenheit auch da draussen, auch wenn ich das Ufer als feinen Streifen noch sehe. Einige schwimmen immer weiter hinaus, kehren zurück und machen sich wieder auf den Weg, einige murmeln, dass es dort draußen neues, anderes Land gibt, andere kehren nicht mehr zurück.